Technik der Frühzeit

Technik der Frühzeit
Technik der Frühzeit
 
Das Material Ton war in Europa bereits in der jüngeren Altsteinzeit bekannt, die Kenntnis der Möglichkeit seiner Formbarkeit und Härtung durch Hitze weit verbreitet. Zu den ältesten Nachweisen der Nutzung von Ton, einem Verwitterungsprodukt silikathaltiger Gesteine, zählen die kleinen Tierstatuetten aus feuergehärtetem Ton von Dolní Věstonice in Mähren mit einem Alter von etwa 26 000 Jahren.
 
Archäologische und ethnographische Befunde lehren aber, dass aus Ton gefertigte Gefäße für Menschen, die sich ausschließlich durch die Jagd und durch Sammeln von Früchten ernähren, denkbar ungeeignet sind. Eine solche Ernährungsart setzt eine unstete, wandernde Lebensweise ohne »festen Wohnsitz« voraus. Tongefäße sind hierfür zu zerbrechlich, sind in leerem Zustand kaum verpackbar und haben ein zu hohes Eigengewicht, während Behältnisse aus Holz oder Lederschläuche sehr viel effizienter einsetzbar sind. Die Regel ist also, dass die Jäger-und-Sammler-Kulturen der Altsteinzeit (Paläolithikum) und der Mittelsteinzeit (Mesolithikum) keine Gefäße aus Ton benutzt haben. Trotzdem gibt es Ausnahmen; beispielsweise ist aus der Fukin-Höhle auf der japanischen Insel Kiūshū eine Keramik bekannt, die angeblich aus der Zeit um 10 000 v. Chr. stammt. Die Hersteller dieser Behältnisse waren auf die Nutzung von Küsten- und Meeresfauna spezialisierte Jäger und Sammler. Dies waren die Träger der mesolithischen Erteböllekultur an den Küsten Dänemarks auch, und in den riesigen »Kökkenmöddinger« (Küchenmüll) genannten Muschelhaufen fand man große, spitzbodige Tongefäße, die aus der Zeit um 5400 v. Chr. stammen. In beiden Fällen scheint aber nur die Art des Nahrungserwerbs Keramik nötig gemacht zu haben. Zu einer weiteren Entwicklung der Keramiktradition ist es nicht gekommen.
 
 Erst Bauern brauchen Tongefäße
 
Gefäßkeramik ist im Vorderen Orient und in Europa erst ab der Jungsteinzeit, dem Neolithikum, bekannt. Seitdem ist Keramik in einer ununterbrochenen Traditionslinie bis heute gebräuchlich. Die agrarisch geprägte, sesshafte Lebensweise in der Jungsteinzeit zog eine ganze Reihe technischer Neuerungen nach sich, zu denen beispielsweise der Bewässerungsbau, die Entwicklung des Pfluges und die Webtechnik gehören, aber auch die Nutzung von Gefäßen aus feuergehärtetem Ton. In der Anfangsphase des Neolithikums verharrte jedoch der Vordere Orient noch einige Zeit in einer keramiklosen Periode, die man als akeramisches Neolithikum bezeichnet. Erst ab der Mitte des 7. Jahrtausends v. Chr. wurden dort einem Härtungsbrand unterzogene Tongefäße allgemein üblich. Parallel dazu benutzte man aber auch noch eine kurze Zeit lang »tonlose« wasserdichte Behältnisse. Ein Beispiel hierfür sind die mit Asphalt ausgestrichenen Körbe und Steingefäße etwa von Ali Kosch (6500-6100 v. Chr.) und die »weiße Ware« aus Syrien und Anatolien. Es handelt sich um Gefäße, die aus einer im Innern von Körben spiralig aufgebrachten Mischung aus gebranntem Kalkstein und Asche hergestellt sind, die durch Trocknung sehr hart werden und dabei ihre typische weiße Farbe erhalten. Trotzdem: Ab 6500 v. Chr. im mediterranen Raum, ab 5500 v. Chr. im südlichen Mitteleuropa und ab 4000 v. Chr. in der nordeuropäischen Tiefebene wird Keramik üblich und ist bis heute aus keinem Haushalt wegzudenken.
 
 Ton, Wasser, Feuer - Die Herstellungstechnik
 
Die früheren Herstellungstechniken entsprechen genau denen, die heute in jedem Töpferkurs für Anfänger und Fortgeschrittene vermittelt werden: Man fertigt entweder Aufbaukeramik durch aufeinander gepresste Tonspiralen oder durch flache Tonstücke, bedient sich einer drehbaren Plattform, um möglichst gleichmäßige Gefäßformen zu modellieren, oder man zieht einen Tonklumpen auf der schnell laufenden Drehscheibe zu einem Gefäß hoch. Die Drehscheibe kam als revolutionäre Neuerung im Vorderen Orient ab etwa 3500 v. Chr. und in Mitteleuropa um die Zeitenwende erstmalig in Gebrauch. Der zweite, schwierigere Schritt, der des Brennens, war und ist immer mit hohen Materialverlusten verbunden, weil sehr viel Feuchtigkeit in den feinen Poren des Tons enthalten ist, die bei steigenden Temperaturen in Wasserdampf übergeht und im Falle ungenügender Vortrocknung oder Magerung das Gefäß sprengt. Die Technik des Keramikbrennens erforderte daher von Anfang an ein enormes Fachwissen. Der möglichst kontrollierte Umgang mit hohen Temperaturen (bis über 1 000 ºC), wie sie für die Herstellung von Keramik und auch zur Verhüttung metallhaltiger Erze nötig sind, lässt es plausibel erscheinen, dass beide Technologien in der Urgeschichte eng miteinander verbunden waren. War aber das technische Know-how vorhanden, boten unterschiedliche Gefäßformen, Verzierungen und die Art der Oberflächenbehandlung viele Variationsmöglichkeiten, sodass Keramik eine viel genutzte Ausdrucksmöglichkeit für ästhetisches Empfinden und für Gruppenidentität sein konnte. Dies und die leichte Zerbrechlichkeit von Tongefäßen macht Keramik zu einem in der archäologischen Forschung außerordentlich wichtigen Fundtyp; Unterschiede in Form und Verzierung lassen regionale oder zeitliche Differenzierungen von Kulturen erkennen, Materialanalysen an Dünnschliffen machen Handelsverbindungen deutlich und die Thermolumineszenzanalyse ermöglicht eine recht genaue Altersbestimmung, wodurch auch moderne Fälschungen älterer Keramik eindeutig erkannt werden können.
 
 Textilien aus Naturfasern - Seit 9 000 Jahren beliebt
 
Um die Frage »authentisch oder nicht?« ging es auch lange Zeit bei dem wohl bekanntesten textilen Objekt, dem Grabtuch von Turin, das daher eingehend mit naturwissenschaftlichen Methoden untersucht wurde. Das 4,36 m lange und 1,10 m breite Tuch in Leinenbindung zeigt Blutspuren und den Abdruck eines menschlichen Körpers; es wird als Grabtuch Jesu Christi verehrt.
 
Die Geschichte der textilen Gewebe ist ebenso wie die der Töpferei mit der Jungsteinzeit im Vorderen Orient verbunden. Der bisher älteste Nachweis für die Weberei überhaupt stammt aus Jarmo im heutigen Irak, wo Abdrücke von Leinengewebe auf Lehmklumpen gefunden wurden, die in die Zeit um 7000 v. Chr. datieren. Etwas jünger sind die ältesten erhaltenen Gewebereste, etwa aus der Nahal-Hemar-Höhle in Israel (um 6500 v. Chr.). Das wohl älteste fast vollständig erhaltene Kleidungsstück, ein Leinenhemd, stammt aus Tarkhan in Ägypten (um 3000 v. Chr.). Diese Gewebe und auch das Grabtuch von Turin sind in Leinwandbindung entstanden; sie gilt als die einfachste Verkreuzungsform der senkrechten Kett- und der waagerechten Schussfäden. Trotzdem war bis zum Einsatz von maschinellen Webstühlen im 19. Jahrhundert immer ein recht hoher Aufwand nötig, bis ein Stück Tuch zu einem Kleidungsstück weiterverarbeitet werden konnte. So musste Flachs, die vermutlich älteste faserliefernde Kulturpflanze, angebaut werden, und mussten langhaarige Wollschafe gezüchtet werden. Die Rohfasern, zu denen in Mitteleuropa während der Jungsteinzeit auch Baumbaste vor allem von Linde und Eiche gehörten, waren zu möglichst langen Garnen zu verspinnen, wozu über Jahrtausende hinweg die Handspindel genutzt wurde. Diese und auch Webstühle haben die Zeiten aber leider nicht überdauert, sodass nur bildliche Darstellungen und archäologische Funde helfen können, den Vorgang der Textilherstellung zu rekonstruieren. Spinnwirtel und Webgewichte, meist aus gebranntem Ton, gehören dagegen zu dem ganz normalen Fundspektrum auf Siedlungsplätzen vom Neolithikum bis zum Mittelalter, als im 11./12. Jahrhundert der Trittwebstuhl, im 13./14. Jahrhundert das handbetriebene Spinnrad und etwas später das Flügelspinnrad bekannt wurden. Der schräg stehende Gewichtswebstuhl war über Jahrtausende hinweg und in ganz Europa das optimale Gerät zur Herstellung von Stoffen; in Mitteleuropa ist er vom Neolithikum bis ins Hochmittelalter üblich, auf der norwegischen Insel Stord wurde er noch 1956 benutzt. In Dalem bei Cuxhaven wurden die Reste eines Gewichtswebstuhls ausgegraben, die zeigen, dass es möglich war, mit diesem Gerät bis zu 3,5 m breite Stoffe zu weben.
 
Dr. Ulrich Zimmermann

Universal-Lexikon. 2012.

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